Tantra als spiritueller Weg: Begehren oder Entsagen?

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Solang’ Du nach dem Glücke jagst,
bist Du nicht reif zum Glücklichsein,
und wäre alles Liebste Dein.
Solang’ Du um Verlorenes klagst,
und Ziele hast und rastlos bist,
weißt Du noch nicht, was Friede ist.
Erst wenn Du jedem Wunsch entsagst,
nicht Ziel mehr noch Begehren kennst,
das Glück nicht mehr beim Namen nennst,
dann reicht des Geschehens Flut
nicht mehr ans Herz,
und Deine Seele ruht.
Hermann Hesse

Ein wundervolles Gedicht tiefer Wahrheit von Hermann Hesse, dem Siddharta-Autor. So wahr wie es ist, reißt es manchen spirituell Suchenden in einen Konflikt:

Nicht mehr nach dem Glück streben, heißt das: nicht mehr suchen, sondern tatenlos die Hände in den Schoß legen?

Nicht mehr um Verlorenes Klagen, heißt das, keine allzumenschlichen Gefühle mehr haben zu dürfen, gleichgültig und gefühllos zu werden?

Keine Ziele mehr zu verfolgen, heißt das, resigniert sich in Selbstaufgabe in eine Meditations-Höhle zurückzuziehen?

Allen Wünschen zu entsagen, heißt das, asketisch wie ein Mönch im Kloster zu leben?

Kein Begehren mehr kennen, heißt das, unsere tierische Triebnatur ganz zu unterdrücken oder gar auszulöschen?

Was so himmlisch klingt – und die Belohnung ist ja sehr verführerisch: Des Geschehens Flut reicht Dir nicht mehr ans Herz und tiefster innerer Frieden…ist mit einem normalen Ich für einen im Leben stehenden Menschen kaum zu verstehen oder gar zu verwirklichen…

Alle, die nicht sehr alt sind oder zumindest im letzten Lebensviertel befindlich – sollten sich nicht zu sehr mit dem Sterben d.h. dem Rückzug aus der Welt beschäftigen. Junge Leute sollten deshalb auch nicht zuviel meditieren. Wir sind geboren worden im Körper, um erstmal rein zu gehen, nicht raus zu gehen. ‚Rein’ heißt, rein ins Leben mit allen Erfahrungsmöglichkeiten, mit Lust und Schmerz mit Zielen im Beruf, mit Projekten, mit schöpferischem Tun, etwas Neues erschaffen und versuchen die Welt zu „verbessern“, mit Sexualität, mit Verlieben und Entlieben, Kindern und Familie, Karriere, Reisen, Haus, Heim und Auto mit Wonne und mit Enttäuschung und Schmerz, um alle Möglichkeiten dieser Welt auszuschöpfen und auszukosten. Das ist richtig und gut.

Sonst würde uns das Göttliche nicht inkarnieren lassen. So wird auch unsere Persönlichkeit, unser Ego ausgeprägt; der Teil von uns, der abgetrennt und ehrgeizig ist. Auch das ist gut so. Wer kein Ego hat und es nicht kennt, kann auch andere nicht verstehen, geschweige denn ihnen aus dem Labyrinth heraushelfen.

Hermann Hesse beschreibt die Krankheit einer unspirituellen Zeit – nämlich die Verhaftung an falsche Werte und er weist auf den Weg der Befreiung hin.

Die Lösung ist der Weg der Mitte, der Weg der Ausgewogenheit – nichts Extremes. Denn unsere tierische Ego-Natur ist genauso gut wie unsere himmlische Engelsnatur, die in jedem wohnt.

Wir sollen lebenslänglich Ziele haben, aber sie mehr wie ein Spiel sehen und nicht an ihnen hängen wie Drogensüchtige.

Wir sollen unsere Wünsche fühlen und auch ausleben, aber wissen, dass wir mehr sind als das.

Wir sollen unser Begehren spüren und auch des Öfteren zeigen und genießen, und gleichzeitig wissen dass es nur ein Teil von uns, – aber nicht alles ist. Wir sollen uns hineinstürzen in all’ die Erfahrungen der Welt, aber immer wieder auch auf dem Berggipfel stehen und alles von oben betrachten – und manches mal über uns selbst lächeln. Wir sollen eifrig tätig und fleißig sein, schwitzen, dann aber immer noch Mußestunden einschieben können – die Fähigkeit, während des Nichts-Tuns nichts zu tun – nicht vergessen.

Wir sollen uns berühren lassen vom Geschehen und menschlich sein – doch nie unser Herz gefangen nehmen lassen und auch nicht kaltherzig wie ein Stein werden. Denn alles ist vergänglich – auch der Schmerz und die „dunklen Tage“, die wir alle immer mal wieder zu durchleben haben.

In einer japanischen Abhandlung heißt es sogar: “…sogar die Buddhas leiden unter den Sorgen….“ (Shinran, Loso Wasan 59)

Wenn also sogar die Buddhas noch menschliche Sorgen haben, dann dürfen wir erst Recht Mitgefühl mit uns selbst haben in den schweren Zeiten.

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